Der Journalismus der etablierten Medien versteht nicht nur das Internet nicht, sondern wird insgesamt getrieben durch ein völlig verqueres Selbst- und Gesellschaftsbild. Dies wirkt sich dann auf jedes gesellschaftliche Thema aus, über das dort geschrieben wird.
Der linkslastige »Journalismus mit Haltung« steht schon qua Selbstverständnis stets auf der moralisch richtigen Seite. Und zwar nicht als journalistische Praxis, sondern auch als Repräsentation der #WirSindMehr-Gesellschaft anständiger Bürger. Diese Perspektive auf Medien und Gesellschaft führt fast zwangsläufig dazu, dass alles Böse, Negative, Aggressive, Graustufige abgespalten und externalisiert werden muss. »Journalismus mit Haltung« braucht immer ein Feindbild, gegen das diese Haltung bewiesen und zelebriert wird.
Eine gründliche Analyse gesellschaftlicher Phänomene (u.a. von Dynamiken im Netz) setzt voraus, moralische Wertungen und Narrative so weit wie möglich auszuklammern. Genau dazu sind die etablierten Medien jedoch längst nicht mehr in der Lage. Jedes differenziertere Ergebnis ist ein potentieller Angriff auf das eigene Gut-Böse-Gesellschaftsbild. Das geht mittlerweile nun schon so weit, dass man den »Bösen« noch nicht einmal mehr eine Plattform zugestehen will.
Das Internet ist für die #WirSindMehrs wohl vor allem deshalb solch eine Provokation und unverständliche Black Box, weil hier – allen Versuchen zum Trotz – die üblichen Mechanismen (sanfter) Zensur, Diffamierung und Marginalisierung weitgehend versagen. Donald Trumps Wahlsieg 2016 ist hier das Trauma schlechthin.
Tja, und wenn die vielen »Guten« mit vereinten Kräften die wenigen »Bösen« nicht sofort verjagen können, dann muss es sich um Verschwörungen, rechte Netzwerke, Putin-Trolle oder einen eskalierenden Hassmob im Netz handeln, die die andere verführen, verwirren, täuschen und aufstacheln.
Die gesamte Berichterstattung fließt ganz organisch aus dem eigenen holzschnittartigen Selbst- und Gesellschaftsbild. Und so recherchiert und schreibt man die Artikel so zusammen, dass man sich exakt in den eigenen Annahmen bestätigt sieht.
Eine nuanciertere Betrachtung wäre dem eigenen Publikum kaum vermittelbar. Denn im Rahmen einer tiefergehenden Analyse des »Games« stellt sich auch die Frage nach den eigenen menschlichen Abgründen. Diese Frage kann sich jemand gar nicht stellen, der bei sich selbst keinerlei Abgründe vermutet, sondern seine richtige Haltung beweisen will.
Leitend ist dabei die völlig verquere Utopie, die »Guten« müssten nur lange genug voreinander Haltung zeugen und den Staat darum bitten, die »Bösen« noch härter zu strafen und zu erziehen, um das Negative in der Gesellschaft zu überwinden.
Rainer ist für solchen Journalismus eine dankbare Vorlage, weil anhand seines Falles am Narrativ gesponnen werden kann, wie weit die Verführung zum »Hass« bis tief ins bürgerliche Lager hineinreicht, wenn der Staat nicht weitere Riegel vorschiebt.